Was die Klimakrise im Himalaya anrichtet

Von Anna Sawerthal · · 2022/Sep-Okt
Wo unterhalb des Island Peak heute der graue Imja-See liegt, war früher grünes Weideland für Yaks. © Anna Sawerthal

Im Nordosten Nepals, am Fuße des Mount Everest, zeigen sich Klimaveränderungen eklatant: Im Himalaya steigen die Temperaturen doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Ein Lokalaugenschein.

Dass Ang Dorje Sherpa am Gipfel des Mount Everest war, ist schon über dreißig Jahre her. Der Sherpa aus dem Khumbu, der Region am Fuße des höchsten Bergs der Welt, war anno dazumal gefragter Höhenguide. Wie so viele in der Region war er zigmal oben. Damals war die Welt dort eine andere, erzählt er.

Der große Mann mit den bereits ergrauten Haaren sitzt in einer Lodge in Namche Bazaar. Das ist die letzte große Siedlung, auf rund 3.500 Metern gelegen, bevor die raue Natur des Himalaya die Oberhand gewinnt: Schier ewige Täler, überdimensionale Berge – und so viel Eis und Schnee, wie das Auge kaum sonst wo sieht.

Der Khumbu-Gletscher, über den es auf den Everest geht, war damals viel größer, erinnert sich Ang Dorje. Früher gab es sieben Camps vom Basislager bis zum Gipfel, heute sind es nur noch vier. Die umliegenden Berge waren damals alle schneeweiß, egal ob 8.000er oder „nur“ 6.000er.

Heute zeigt sich oft der nackte Fels, so mancher Himalaya-Gipfel ist im Sommer schwarz. Denn der viele Schnee verschwindet sukzessive. Das hat Ang Dorje seit Jahren vor Augen, und Hüttenbesitzerinnen, Träger, Bergführer oder Yaktreiber in der Region teilen seine Beobachtungen.

Rasante Gletscherschmelze. Studien bestätigen, was die Menschen am Everest seit Jahren beobachten: Die Gletscher schmelzen rasant, die Temperaturen im Himalaya steigen doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt.

Die Auswirkungen sind nicht nur lokal verheerend. Am „dritten Pol“ sind fast 15 Prozent der weltweiten Wassermassen gespeichert, viele der großen Flüsse Asiens entspringen im höchsten Gebirge der Erde: Und was da am Dach der Welt passiert, betrifft direkt und indirekt Millionen von Menschen in Indien, Pakistan oder Bangladesch.

Um die überregionalen Zusammenhänge zu verstehen, formieren sich immer mehr Initiativen, die über den eigenen Tellerrand blicken: Erstmals fand im vergangenen Frühling das „Himalayan Climate Bootcamp“ statt, bei dem Journalist*innen aus Nepal, Indien und Bangladesch in Namche Bazaar zusammenkamen.

Es sei wichtig, Netzwerke in Südasien zu schmieden, um der Klimakrise gemeinsam zu begegnen, erklärt Organisator Chhatra Karki. Im Khumbu wird klar, dass es kein Luxus ist, sich Gedanken über die Klimakrise zu machen, sondern dringende Notwendigkeit.

Auch die überregionale Organisation ICIMOD (International Centre for Integrated Mountain Development) veranstaltete im Mai ein Training für Journalist*innen aus den Himalaya-Ländern. Die NGO „The Third Pole“ bietet so ein Training im Herbst an. Es geht dabei darum, die Expertise, die vor Ort oft bereits vorhanden ist, auch medial verstärkt zu kommunizieren.

Aktiv gegen Müll. Die Region ist aufgrund der Nähe zum höchsten Berg der Welt eines der beliebtesten Reiseziele weltweit. Tausende Menschen strömen jährlich in das berühmte Tal, gehen alleine oder mit Sherpas den rund zweiwöchigen Trampelpfad zum Everest-Basislager und zurück.

Ang Dorje ist seit zehn Jahren Vorstand des lokalen Sagarmatha Pollution Control Committee. Das wurde Anfang der 1990er gegründet, um die Probleme mit dem zurückgelassenen Müll in den Griff zu bekommen.

Alleine 2021, noch mitten in der Covid-Krise, brachte die Organisation 22 Tonnen menschliche Exkremente aus dem Basislager vom Berg. Etwa genauso viel wurde an brennbarem Müll eingesammelt.

Trotz der gewaltigen Menge funktioniert das Müllmanagement im Khumbu ziemlich gut. Noch auf 5.300 Meter wurden Mülltonnen errichtet. Doch während die Sherpas jahrelang das Müllsystem entwickelten, baute sich eine ganz andere Katastrophe auf, die nicht lokal zu bewältigen ist.

Bedrohliche Seen. Am Imja-See, rund einen Tagesmarsch entfernt vom Trampelpfad zum Basislager, auf über 5.000 Meter Seehöhe, fällt das Atmen schwer. Mehrere Stunden geht man von der letzten Hütte hier hinauf durch das fast menschenleere Imja-Tal, um zu dem See zu gelangen. Es ist kein klarer Bergsee, sondern eine braun-grün-graue, riesige Lacke, die sich über Geröll, Stein und schmutzigen Schnee ergossen hat.

Noch vor 50 Jahren gab es den Imja-See gar nicht. Da weideten früher Hirten ihre Yaks. Innerhalb weniger Dekaden verwandelte er sich in eine riesige Zeitbombe: Denn der Gletschersee wuchs beständig, sein natürlicher Damm drohte jederzeit zu bersten.

2016 hat die nepalesische Armee schließlich einen Kanal gebaut und ihn um fast vier Meter abgelassen. Der Kanal reguliert bis heute seinen Stand – zumindest hier, in der Nähe des Khumbu-Tals, ist die Katastrophe abgewandt. Aber: Im Himalaya gibt es viele solcher Seen.

Große Veränderungen. Wieder drei Tage Fußmarsch weiter, Richtung Basislager, sitzt der 53-jährige Kazi Bista im kleinen Cafe der „Pyramide“, einer Forschungseinrichtung auf ebenfalls rund 5.000 Meter Seehöhe. „Unsere Berge sind unsere Wassertanks“, sagt er. „Sie sind unser Leben.“ In der Küche werden das Nudelgericht Chowmien, die Linsensuppe Dal Bhat und Tee zubereitet. In der Ecke sitzt ein Gletscherforscher, der bald aufbrechen wird, um in der Nähe des Gipfels des Everest für die National Geographic Society eine Wetterstation zu installieren. Auch einige Trekker*innen haben hier Unterschlupf gefunden. Die Pyramide ist nur fünfzehn Minuten vom Hauptweg entfernt.

Bista ist Techniker und Manager der Forschungseinrichtung, oft ist er ganz alleine hier oben, und das seit 2006. Seit den 1990ern nehmen die Messgeräte von Kazi Bista alle zehn Minuten Daten auf: Temperatur, Niederschlag oder Luftdruck. Vor 30 Jahren haben sie noch 80 cm Schnee im Winter gemessen. 2019 waren es gerade einmal sechs.

„Dieses Jahr ist wieder etwas besser“, Bista zeigt beim Fenster hinaus, es herrscht dichtes Schneetreiben. 33 Zentimeter, immerhin. Doch seine Daten zeigen, dass die Gegend am Austrocknen ist.

 „Die Menschen werden um Wasser streiten“, sagt Bista. 2019 war es schon einmal so weit. Damals ging den Bewohner*innen von Lobuche, einer kleiner Siedlung, nur eine Stunde weiter unterhalb der „Pyramide“, das Trinkwasser aus.

Hier oben gab es früher drei Seen. Heute sind es nur noch zwei.

Weltweite Dimensionen. Im Khumbu sind die Auswirkungen der Klimakrise deutlich sichtbar. Die Erderwärmung sei vor allem von großen, reichen Ländern zu verantworten, meint Ang Dorje – Indien, China, die westlichen Industrienationen.

Für den Klimagipfel in Glasgow 2021 haben sich Länder, die besonders von der Klimakrise betroffen sind, zusammengetan, um mehr Gewicht gegenüber Industrienationen zu haben. Auch beim nächsten Gipfel soll wieder gemeinsam Druck gemacht werden, erzählt Bista über die Kampagne, die von der grenzübergreifenden Organisation ICIMOD initiiert wurde. Es sei zwar der Berg der Menschen in der Region, das Problem aber eben ein globales, meint Bista und fügt hinzu: „Die müssen uns helfen.“

Anna Sawerthal ist Redakteurin bei der Tageszeitung Standard im Ressort Außenpolitik. Vor kurzem hat sie auf eigene Initiative hin am ersten „Himalayan Climate Bootcamp“ in der Everest-Region teilgenommen.

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